Van-Life – Teil 01

Fortsetzungsgeschichte von Blanche Fabri

Eine Collage aus zwei Bildern: links ist ein VW-Bus in einer idyllischen Natur zu sehen, rechts ist der VW-Bus bei Regen und Matsch dargestellt

1 – Die Idee

„Schatz, ich habe eine Idee!“

Mal ehrlich, wann ist aus so einem Satz jemals etwas Gutes entstanden? Ich hätte wissen müssen, dass aus solchen Sätzen selten etwas Gutes entsteht. Soweit ich mich erinnern kann, jedenfalls. Ich erinnere mich, wie eine Freundin diesen Satz zu mir im Urlaub sagte, bevor wir ohne Planung und Vorbereitung auf eine nächtliche Bergwanderung gegangen sind (es ging nicht so gut aus), und wie mein Vater ihn einmal zu mir sagte, bevor er die Ersparnisse meiner Eltern in ein Kettenkarussell investierte (auch das ging nicht so richtig gut aus).

Und auch historisch gesehen, meine ich. Die Entwicklung eines Überschall-Passagierflugzeugs klang auf den ersten Blick doch nach einer guten Sache: In rund drei Stunden von London nach New York, das hört sich doch gut an. Hohe Betriebskosten, eingeschränkte Flugrouten und mangelnde Nachfrage führten jedoch dazu, dass die Concorde zum kommerziellen Misserfolg wurde.

Ähnlich erging es dem Segway, der bei seiner Einführung als revolutionäres Transportmittel gehandelt wurde, das unsere Fortbewegung grundlegend verändern sollte. Ursprünglich eine gute Idee, wurde es doch zum großen Flop und kommt jetzt nur noch bei Stadtrundgängen zum Einsatz. Und ich weiß noch, als meine Chefin verkündete, dass sie eine richtig tolle Idee hat und wir anschließend mit dem Büro umgezogen sind, von 3er Büros in ein Loft mit einer großen, offenen Arbeitsfläche. „Das steigert die Kommunikation und Zusammenarbeit, das wird toll!“ Ein Jahr später wurden Trennwände und Gesprächs-Boxen eingebaut.

In einem Moment mag sich so manche Idee gut anfühlen. Meistens nur in der Theorie, nicht in der Praxis.

„Schatz, hör doch mal, ich habe eine Idee!“

Und ich nehme mich nicht aus, ich habe diesen Satz auch schon zu meinem Schatz gesagt, den ich übrigens überhaupt nicht Schatz nenne, und er nennt mich für gewöhnlich auch nicht so. Es gibt nur noch einen weiteren Satz, einen einzigen Ausspruch, der das Ganze noch gefährlicher machen kann. Und voilà, da ist er:

„Habe ich gestern in einer Doku gesehen.“

Wenn jemand etwas in einer Dokumentation gesehen oder in einer Zeitung gelesen hat, dann muss es gut sein. Punkt. Da gibt es keine Diskussion. Ähnlich sieht es bei Posts in sozialen Medien aus, wobei es da immer noch stark von der Plattform und vom Account abhängt.

Nur weil etwas in einer Dokumentation war, muss es noch lange nicht gut oder richtig oder nachahmenswert sein. Ich habe beispielsweise gestern in einer Doku gesehen, wie es kinderleicht gelingt, aus Steinen und kaputten Gegenständen schöne Deko-Elemente zu zaubern. Upcycling für den Hausgebrauch. Das war interessant, aber auch beunruhigend, dass es tatsächlich Menschen gibt, die dafür Zeit haben. Dennoch wäre es keine gute Idee (also für mich), alles stehen und liegen zu lassen, um Steine und Müll zu sammeln und daraus Deko-Elemente zu erstellen und zu verkaufen. Ich weiß das. Mein Schatz braucht für diese Einsicht oft etwas länger.

Wenn man es genau nimmt, ist es eine positive Eigenschaft, Begeisterungsfähigkeit nennt sich das.

Und was soll ich machen? Ich muss ihm antworten. Er schaut mich so voller Euphorie an, ist voller Freude, dass er mir gleich von seiner Idee erzählen kann und voller Vertrauen, dass ich diese Idee auch super finden werde. Es ist wirklich erstaunlich, woher er dieses unerschütterliche Vertrauen nimmt. Wir sind seit über zehn Jahren zusammen und kennen uns inzwischen gut. Er kennt mich und ich kenne ihn. Sollte man meinen.

Ich weiß genau, wie es weitergehen wird. Er wird mir die Idee erzählen und ich werde sie schrecklich finden. Dann wird er enttäuscht sein und sagen, dass ich eine Spielverderberin bin. (Du musst dich auch mal auf neue Ideen einlassen, sei nicht immer so kleinkariert!)

Und anschließend werden wir über diese Idee reden, und ich werde ihm sachlich und realistisch erklären, warum sie doch nicht so gut ist, wie er denkt. Es wird nichts helfen. Er wird darauf beharren, dass er recht hat, die Idee gut ist, und dass ich die Zukunft nicht voraussehen kann, nicht hellsehen kann.

Ja, da hat er natürlich recht, würde ich dann sagen. Die Idee hält sich noch zwei bis drei Wochen in seinem Kopf, dann verliert er das Interesse oder räumt ein, dass es doch keine so gute Idee war.

Die Einsicht kommt. Immer. Nur meistens eben etwas später.

Nicht so positive Menschen würden statt Begeisterungsfähigkeit Sprunghaftigkeit sagen. Ich versuche, positiv zu denken. Deshalb bleibe ich bei „leidenschaftlich und begeisterungsfähig“.  

Ich weiß genau, wie solche Situationen ausgehen, und bin jedes Mal aufs Neue erstaunt, dass er es nicht zu wissen scheint. Es geht nie gut aus.

Ich weiß das. Er muss das doch auch wissen. Er kennt mich, er kennt sich und uns. Eigentlich könnte er sich also die ganze Vorgeschichte sparen und gleich am Ende einsetzen. Er würde dann sagen: „Schatz, …“ (Das müssen wir noch klären, warum er neuerdings „Schatz“ zu mir sagt) „Ich hatte eine Idee, habe ich in einer Doku gesehen, dann habe ich einmal gründlich darüber nachgedacht und nun, nach 14 Tagen, verliere ich auch schon das Interesse an der Idee.“

Ich könnte sagen, dass die Idee eigentlich ganz gut war und ich verstehe, dass er kurz überlegt hat, sie umzusetzen. Anschließend würde ich ihm beipflichten, dass sie sich für eine Umsetzung nicht richtig eignet, und dann könnte ich ihm einen Kuss geben und fertig.

Aber so ist es nicht. Er bleibt unerbittlich, ein Fels in der Brandung der guten Ideen.

„Warum nennst du mich Schatz?“ Gute Antwort von mir, denke ich.

„Weil sich unser Leben total ändern wird!“

Stille. Jetzt ist Vorsicht geboten!

Es gibt zwei Kategorien von „guten Ideen“. Die einen betreffen nur ihn selbst. Beispielsweise: „Ab sofort werde ich jeden Morgen zum Schwimmen gehen, das wird toll.“ Da kann ich einfach sagen: „Super Idee, aber nix für mich.“ Die andere Kategorie ist die gefährlichere. Die beginnt mit „Wir“. „Wir werden jetzt mal richtig die Wohnung entrümpeln und den ganzen Ballast wegwerfen.“ „Wir werden ab sofort nur noch grünes Gemüse essen, weil es viel gesünder ist als rotes Gemüse, habe ich in einer Doku gesehen.“ Diese Kategorie vereinnahmt uns beide und ist zugleich so endgültig, dass ich mich ihr nicht entziehen kann. Zum Glück weiß ich, dass auch diese Art von Ideen nie von langer Dauer sind. Deshalb lasse ich mich meist einfach darauf ein und warte ab, bis sie sich in Luft auflöst. Und manchmal, in seltenen Fällen, wird aus einer Idee tatsächlich auch eine Gewohnheit. Wie beispielsweise, dass wir nur noch einmal die Woche Fleisch essen.

„Ich mache uns schnell noch einen Kaffee und hole den Laptop, dann können wir gleich mit der Planung loslegen, oder haben wir noch etwas Sprudeliges? Dann könnten wir erstmal darauf anstoßen.“ „Schatz, schau doch mal in der Abseite, ich meine, da versteckt sich noch eine Flasche“, er hat so viel Elan und Vorfreude, als hätten wir im Lotto gewonnen. „Hör doch jetzt bitte mal auf, mich Schatz zu nennen!“

Stille. Und ich merke, dass es mir strenger entfahren ist, als es gemeint war. Wenn sich ein Raubtier eingekreist fühlt, schlägt es zurück, denke ich. „Ist ja gut, Anneke. Schau doch bitte mal in der Abstellkammer nach.“ „Okay, Hannes.“

Ich versuche, so unschnippisch zu sein, wie es mir möglich ist. Danach gehe ich in die Küche und schaue in die Abseite. Und tatsächlich steht da noch eine Flasche Cremant, die muss wohl irgendwie in Vergessenheit geraten sein. Ich überlege kurz und höre mich rufen: „Da ist keine Flasche, die müssen wir wohl doch schon mal getrunken haben.“ Leise stelle ich die Flasche ein Regal weiter nach unten, hinter die Putzmittelflaschen.

Fortsetzung folgt …


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