Van-Life – Teil 02

Fortsetzungsgeschichte von Blanche Fabri

Eine Collage aus zwei Bildern: links ist ein VW-Bus in einer idyllischen Natur zu sehen, rechts ist der VW-Bus bei Regen und Matsch dargestellt

Und tatsächlich steht da noch eine Flasche Cremant, die muss wohl irgendwie in Vergessenheit geraten sein. Ich überlege kurz und höre mich rufen: „Da ist keine Flasche, die müssen wir wohl doch schon mal getrunken haben.“ Leise stelle ich die Flasche ein Regal weiter nach unten, hinter die Putzmittelflaschen.

Als ich in die Küche zurückkomme, sitzt er mit zwei Tassen Kaffee am Tisch, sein aufgeklappter Laptop steht daneben. Ich stutze kurz. Es sind die blauen Tassen mit den coolen Bemalungen und Applikationen, die wir aus dem Frankreich-Urlaub mitgebracht haben. Sie sind selbstverständlich handgetöpfert und handbemalt aus einem kleinen Laden, aus einem kleinen Dorf. Ein Souvenir. „Wenn wir zu Hause aus den Tassen trinken, dann können wir uns immer an den herrlichen Urlaub in Frankreich erinnern“, haben wir damals gesagt, als wir sie gekauft hatten. Zu Hause haben wir sie zweimal benutzt und gemerkt, dass sie erstens eine wirklich blöde Größe haben – zu groß für einen schnellen Kaffee und zu klein für eine richtige Portion. Und zweitens hat sich die kunstvolle Bemalung als unpraktisch erwiesen, die Tassen sind nicht spülmaschinengeeignet und müssen von Hand abgewaschen und abgetrocknet werden. Und als ob das nicht schon umständlich genug wäre, verhakt sich dabei jedes Mal der Schwamm oder das Geschirrtuch an den Applikationen. Also wanderten die Tassen immer weiter nach hinten in den Schrank, und wir haben uns eingeredet, dass wir die Tassen besser nur zu besonderen Anlässen nutzen wollen. Wenn wir ganz ehrlich sind, sind sie irgendwie kitschig. In Frankreich, bei Sonnenschein und Sommerlaune sahen sie schön aus, zurück im tristen Deutschland wirken sie deplatziert. „Ah, die Tassen“, sage ich und überlege, ob er statt Kaffee den Tee, den wir aus dem kleinen Teeladen auf Sylt mitgebracht und seitdem kaum getrunken haben, gekocht hat.

„Ich dachte, es wäre passend, ist doch ein besonderer Anlass.“ „Na, dann bin ich mal gespannt“, ich versuche, meinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, komme, was wolle.

Er schlürft einen Schluck Kaffee, macht eine Kunstpause und dann lässt er die Bombe platzen: „Wir bauen unseren Bulli um und werden Globetrotter.“ Stille. Gedankenfetzen rasen durch mein Gehirn: Ach, Hannes! – Warum? – Bitte nicht! Und dann: Ist das nicht inzwischen out? – Wir mögen nicht einmal campen! – Du hasst Autofahren! – Was bedeutet überhaupt Globetrotter? – Geben wir unsere Jobs auf? Und dann wieder: Ach, Hannes! – Warum, in aller Welt?! – Bitte nicht!

Es gibt nichts, aber auch wirklich gar nichts, was ich weniger gern machen würde! Mein Kopf fällt innerlich auf die Tischplatte.

„Aha“, ich versuche, möglichst neutral zu klingen. Sein Gesicht verzieht sich. „Ich muss erst mehr darüber wissen, um mir etwas darunter vorstellen zu können“, sage ich schnell. Und dabei kann ich es mir genau vorstellen: Campingplätze, Waschräume, klappbare Gartenstühle mit Stoffbezügen, stundenlange Autofahrten, und nach Tag 2 hat man sich nichts mehr zu erzählen, Mücken – irgendwie denke ich an Mücken, viel zu wenig Platz, Kälte und Muffigkeit. Mit einem Wort: Schrecklich!

„Kein Problem“, sagt er und legt los: Grenzenlose Freiheit, Unabhängigkeit, Abenteuer, einfach mit wenig leben, treiben lassen.

Ich dreh durch, denke ich. Und er kommt erst so richtig in Fahrt: Länder, Menschen, Ballast abwerfen, das Leben genießen, Sonnenuntergänge – wenn nicht jetzt, wann dann … Er macht eine kurze Pause, um von seiner grenzenlosen Euphorie Luft zu holen. Wann dann? „Nie!“, schießt es mir durch den Kopf. Bitte, nie. Und dann schaue ich ihn an, er freut sich so und sieht sehr glücklich aus. Inzwischen ist er bei den praktischen Dingen angekommen. „Beim Ausbau muss man schon einige Entscheidungen treffen, das müssen wir dann überlegen. Wollen wir beispielsweise eine Toilette an Bord oder lieber mehr Platz für eine Sitzecke“, er lacht und freut sich bereits auf die Planung. Ich muss ihn jetzt wieder zurückholen in die Realität. Ich ahne, dass es bei dieser Idee länger dauert, bis die Einsicht kommt. „Hannes, wir haben aber doch gar keinen Bulli. Nicht mal ein Auto.“ Ich sage es ganz sachlich. Es ist ja eine rein nüchterne Feststellung, keine Wertung. „Fang nicht so an.“ „Was meinst du?“ „Du betreibst Haarspalterei.“

„Aber wir haben doch wirklich kein Auto.“

„Darum geht es doch nicht. Mach es mir jetzt nicht gleich wieder madig. Natürlich haben wir kein Auto, wir müssen selbstverständlich eins kaufen.“

Ach, Hannes. Warum in aller Welt? Bitte nicht!

Jetzt bloß keinen Fehler machen.

„Ich kann es mir noch nicht so genau vorstellen“, sage ich vorsichtig. Seine Augen beginnen zu kleinen Schlitzen zu werden. „Du hast dir bestimmt schon einige Gedanken gemacht, erzähl doch erstmal etwas mehr.“ Gerade noch gerettet. Seine Augen beginnen zu leuchten, er schiebt den Kaffee zur Seite und zieht den Laptop vor sich und bedeutet mir, mit auf den Desktop zu schauen.

„Ja, schon ein bisschen. Ich habe nur mal die Key-Facts und einige erste Fragen aufgeschrieben. Da müssen wir dann nochmal etwas ausführlicher recherchieren.“

Das muss man ihm wirklich lassen: Bei all seinen Ideen, mögen sie auch noch so bescheuert sein, schafft er es immer in kürzester Zeit, die wichtigsten Fakten, mögliche Herausforderungen sowie eine kleine Marktanalyse zusammenzutragen. Andere Menschen bräuchten dafür Wochen und er macht sowas innerhalb weniger Tage. Und so ist es auch dieses Mal. Die Punkte sind fein säuberlich aufgeteilt in die Bereiche: Idee: Warum & Ziele, Umsetzung (Vor- und Nachteile und Kosten): Van, Wohnmobil, Wohnwagen, Planung: Dauer & Route, Kosten, Fragen, Links.

„Die Idee habe ich ja kurz erzählt, wir nehmen uns eine Auszeit und fahren mit einem umgebauten Van durch die Welt.“ Er fährt mit seinen Ausführungen fort, und mir wird ganz schwindelig. Ein Anflug von Angst überkommt mich, weil er wirklich gut vorbereitet ist. Kann es sein, dass er es dieses Mal ernst meint? Panik kommt bei mir auf, und ich versuche, mich selbst zu beruhigen, indem ich sage:

„Und wo fahren wir dann hin?“

„Das können wir uns aussuchen, wohin wir wollen! Wir könnten zunächst mit Europa starten und dann weiter nach Afrika, Amerika oder Asien. Wie wir wollen.“

Ich will gar nicht, aber es hilft nichts, ich muss mich da jetzt erstmal drauf einlassen. In wenigen Wochen hat er das Interesse an der Idee verloren, ganz sicher.

„Und wie lange fahren wir dann?“

„Auch das können wir uns überlegen. Entweder legen wir von vornherein eine Route und eine Dauer fest oder wir fahren einfach los und schauen, wohin es uns so treibt.“

Oh je, einfach losfahren. Wir können uns bisher nicht einmal einigen, in welches Restaurant wir abends gehen oder welchen Film wir streamen wollen. Wie soll das denn bei sowas erst werden?! Ich sehe uns schon an jeder Kreuzung halten und diskutieren, hinter uns hupen die Autos und überholen uns nach einiger Zeit laut schimpfend. Das dauert dann so lange, bis eine Person genervt nachgibt und für die anschließenden zwei bis drei Stunden ist erstmal Funkstille.

„Und was meinst du mit Auszeit nehmen? Wovon leben wir in dieser Zeit? Kosten Stellplätze nicht auch Geld?“

Viele schreiben dabei einen Reiseblog und posten auf Insta Stories zur Reise, allerdings bin ich nicht sicher, ob es dafür noch einen Markt gibt. Wir könnten beispielsweise in der Zeit unsere Wohnung vermieten, da kann man ja inzwischen auch ein bisschen mehr Miete veranschlagen.

„Aber wir dürfen doch nicht aus der Not anderer Menschen Kapital schlagen, das waren deine Worte, erinnerst du dich?“

„Stimmt, aber bei AirBnB zusätzlich ein Zimmer zu vermieten oder unsere ganze Wohnung zur Zwischenmiete sind ja verschiedene Dinge. Und wir würden die Wohnung eher an reiche Geschäftsmenschen vermieten, die haben gar keine Not“, er lacht und fährt fort. „Und wir könnten auch ein bisschen sparen, unsere Reserven nehmen und Sachen verkaufen. Das müssen wir dann noch überlegen.“

Fortsetzung folgt …


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