Van-Life – Teil 04

Fortsetzungsgeschichte von Blanche Fabri

Den ganzen Abend hat er sich ausgemalt, wie wir mit einem Wohnmobil oder Wohnwagen – das müssen wir dann noch überlegen – durch die Welt reisen und welche Abenteuer wir dabei erleben – die vollkommene Freiheit!

Vielleicht hat er sich heute schon ein wenig davon entwöhnt und die Lust daran verloren. Wahrscheinlich nicht, aber die Hoffnung stirbt zuletzt, wie jeder verheiratete Mensch weiß. Langsam gehe ich auf die Wohnküche zu und mein mulmiges Gefühl verstärkt sich. Ich komme mir vor wie in einem Thriller, es fehlt nur noch die Pistole in meiner Hand, als ich langsam die Tür einen Spalt öffne. Im Zimmer läuft Musik – ist das Willie Nelson mit „On the Road Again”? Es scheint schlimmer als gedacht und tatsächlich, als ich die Tür ganz öffne, blickt mir das totale Chaos entgegen. „Jetzt ist er völlig durchgedreht“, denke ich und merke, dass ich es nicht nur gedacht, sondern auch laut gesagt habe.

„Es sieht schlimmer aus, als es ist“, strahlt er mich an und steht inmitten eines riesigen Chaos. In der ganzen Wohnküche liegen Dinge durcheinander, die zu Haufen gestapelt werden. Schnell scanne ich die Stapel, kann aber kein Muster erkennen.

„Was machst du da?“

„Ich miste aus, wir können nur das Nötigste mitnehmen und wenn wir die Wohnung untervermieten, soll nicht so viel herumstehen.“

Von allen To-Dos, die er hätte angehen können und die für ein solches Unternehmen wichtig wären, wählt er ausgerechnet dieses aus. Das ist so typisch.

„Aha“, sage ich und stöbere in den Stapeln. „Gibt es hier eine Logik?“

„Diese Sachen …“, er zeigt auf vier verschiedene Stapel, „sind unklar, die drei großen können weg, die zwei kleinen behalten wir.“

„Das gehört doch aber mir!“, ich ziehe aus einem Stapel ein kleines Fächerset, ein Mitbringsel aus einem Thailand-Urlaub.

„Deshalb liegt es auf dem Unklar-Stapel.“

„Seit wann bist du wach?“

„6 Uhr, ich konnte nicht mehr schlafen.“

„6 Uhr?!“ Das ist neu, Hannes ist kein Frühaufsteher, überhaupt nicht. Er kann eigentlich immer schlafen.

„Mir ging zu viel durch den Kopf“, er strahlt.

„Mir auch“, mein Auge zuckt. „Wollen wir nicht besser zusammen ausmisten?“

Er schaut mich ruhig an. Zu ruhig.

„Ja, klar.“ Er zupft eine Broschüre aus dem Stapel vor sich, schaut hinein, es ist ein Programmheft von einem Theaterbesuch in Wien. Die Karten hatten wir damals von einem Kollegen übernommen, der kurzfristig nicht fahren konnte. Wir fanden uns wild und jung (waren wir damals schon nicht mehr), dass wir von einem Tag auf den anderen für einen Kurztrip nach Wien gefahren sind.

„Es ist nur so,“ er wirft das Programmheft auf den Kann-weg-Stapel „dass du dich nicht so einfach von Dingen trennen kannst”. Ich setze zum Widerspruch an, greife wie in Trance und blitzschnell nach dem Programmheft, um es vor dem Müll zu retten, merke im letzten Moment, dass meine Handlung sein Argument unweigerlich stützen würde, blättere kurz im Heft und werfe es dann wie beiläufig auf den Kann-weg-Stapel zurück.

„Gar nicht.” Hannes hält inne und sieht mich an. Ich kann es wirklich nicht leiden, wenn er das macht. Er sieht mich nur an, sagt nichts und wartet. Er lächelt nicht, schaut auch nicht unfreundlich. Es ist irgendwie ein Nicht-Blick – der Hannes-Blick.

„Mh.“ sage ich und meine damit, dass er ein bisschen recht hat.

„Warum hüpfst du nicht unter die Dusche und ich mache dir einen Kaffee?“ Er ist definitiv ein besserer Friedensstifter als ich. Bevor ich ins Bad gehe, gebe ich ihm noch einen Kuss.

Das heiße Wasser tut gut und ich spüre, wie ich Energie für den Tag tanke. Wir haben einen guten Wasserdruck, das war Hannes beim Einzug wichtig. Außerdem haben wir so einen speziellen Duschkopf, für extra viel Wasserdruck und um Wasser zu sparen. Ich habe nie so richtig verstanden, wie das zusammenpasst, aber ich habe es auch nie wirklich hinterfragt. Es ist ein hässliches, schweres Ding mit komischen Kügelchen.

Während ich über unseren seltsamen Duschkopf nachdenke, fällt mir plötzlich ein, dass ich gar nicht weiß, wie und ob man in einem Wohnmobil duschen kann? Gibt es so etwas in einem Wohnmobil oder muss man dafür immer auf einen Campingplatz fahren? Und wie sieht es mit der Toilette aus? Halt – Stopp! Es besteht gar keine Notwendigkeit, über so etwas nachzudenken, denn wir werden ganz sicher nicht in einem Wohnmobil durch die Welt reisen, bringe ich mich selbst zur Räson. Die Idee wird vergehen. Vielleicht sind diese Fragen bei Hannes trotzdem gut aufgehoben, er liebt Comfort genauso wie ich und wir ekeln uns schon beim Trennen des Biomülls und wie auch immer das mit der Toilette funktioniert, appetitlich ist es sicher nicht.

Als ich ins Wohnzimmer zurückkehre und gerade meine Haare trockne, steht eine große Tasse Kaffee auf dem Tisch. Auf dem Becher steht: Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt. Wo hat er die denn ausgegraben, denke ich und warum ist sie nicht auf dem Kann-weg-Stapel gelandet.

„Passt doch.“ Er deutet auf den Spruch. Ich nehme einen Schluck und lasse es unkommentiert. Die Tasse haben uns meine Eltern zum Einzug geschenkt, ich hatte sie vergessen.

„Sag mal, wie funktioniert das eigentlich in einem Wohnmobil mit Dusche und Toilette?“

Hannes überlegt, dann leuchten seine Augen.

„Tolle Fragen!“ Wie ein aufgescheuchtes Eichhörnchen fischt er aus einem Stapel eine alte Staffelei, aus einem anderen eine kleine Magnettafel und aus einem dritten Karteikarten, dann baut er alles auf und fängt an, auf eine Karte etwas zu schreiben, hält inne, wirft den Stift weg, er war wohl vom Kann-weg-Stapel und schreibt nicht mehr. Er nimmt einen anderen Stift vom Bleibt-Stapel und schreibt auf eine Karte ‘Dusche’ und auf eine andere ‘Toilette’.

„Auf der Magnettafel können wir alle Fragen sammeln.“  

„Praktisch, dass wir die Staffelei und die Tafel noch nicht weggeworfen haben, man weiß eben nie, wofür man das eine oder andere noch braucht.“ Sage ich mit einem Schmunzeln.

Fortsetzung folgt …


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